Älterwerden - Reiferwerden - Erwachsenwerden
Alt werden wir von alleine. Reif und erwachsen zu werden braucht meines Erachtens viel Ausdauer, Aufmerksamkeit, Bewusstheit und Meditation. Mit der Reifeprüfung bei meinem Abitur, dachte ich, jetzt hab ich‘s geschafft...........doch das war noch gar nichts. Die Liebesbeziehungen, Familie, Kinder, berufliche Einbrüche, das Leben hat mich eines anderen belehrt. Es war eher so, dass der leidgeschwängerte Weg mir was sagen wollte, was ich lange nicht verstand und hartnäckig durch Kontrolle in Griff kriegen wollte. Ich hatte doch die Reifeprüfung hinter mir, ich bin doch erwachsen, ich muss es doch alleine schaffen jetzt - so dachte ich.
Was eine Anstrengung! Krankheit stoppte meinen Ehrgeiz, mein Bemühen, meine Illusion.....
nur langsam begann ich zu begreifen. Unser Körper unterliegt dem natürlich Kreislauf von
Entstehen und Vergehen. Wechsel und Veränderung gehören zum Leben und sind wohl das
einzig Sichere.
Die Aussage von Buddha über den Kreislauf des Lebens Geburt - Alter - Krankheit – Tod vor mehr als 2500 Jahren konnte auch durch die modernste Wissenschaft und Technologie nicht wirklich widerlegt werden: Wir können wohl das Altern ein bisschen aufhalten und rausschieben, Falten weg lasern,auffüllen oder straffen. Wir können wohl dies und das unternehmen, um jung, stark, dynamisch und gesund zu bleiben. Aber die Natur können wir nicht besiegen. So wie sich in unserer modernen Welt die Beziehung zum Körper verschlechtert hat, so können wir heute schlechter älter werden. Das Alter ist was Unangenehmes geworden, alte Leute werden in Heime abgeschoben. Man muss sich fast schämen, alt zu werden, als ob man versagt hat. Unsere ganze zivilisierte Gesellschaft leidet meines Erachtens unter Unreife und mangelndem Verstehen.Es gibt andere Länder, welche die Weisheit des Alters mehr achten und ehren, so wie viele Naturvölker oder z.B. China, wo erst der 50. Geburtstag als gefeiert wird, weil sie der Ansicht sind, dass man davor eben noch zu unreif ist und zuerst viele Dinge lernen muss.
Was aber ist Reife?
Ein junges Gesicht, ein Kindergesicht ist noch unbeschrieben, voller Unschuld, Neugier und Nichtwissen. Ein altes natürliches Gesicht trägt die Geschichte des Lebens. Aber wir haben verlernt, uns zu zeigen und uns zu konfrontieren. Hingabe und Vertrauen sind verschwunden auf Kosten von Kontrolle und Sicherheit: Lebensverlängerung durch Organübertragung, Leben aus der Retorte, Besiegen von Vergänglichkeit, Veränderung, Tod und Sterben ist groß geschrieben in unserer technisch immer perfekteren Welt. Doch parallel zu vielen Sicherheiten nehmen auch Ängste zu. Angst letztlich nicht geliebt zu sein, nicht dazuzugehören, verstoßen zu werden. So auf jeden Fall erlebe ich es selbst und auch in meinen Seminaren, wo ich viele Leute begleitet habe in die Welt nach innen.Wenn ich über den Lebenssinn nachdenke, sehe ich, dass es 2 Lebenslinien gibt, nämlich eine innere und eine äußere. Die Körperliche äußere steigt an und sinkt spätestens ab 40 wieder ab, während die innere Lebenslinie stetig ansteigen könnte.In der ersten Lebenshälfte sind wir auf die Zukunft fixiert. Immer neue Ziele mobilisieren unsere Kräfte: Die Schule, der Beruf, Ehe und Partnerschaft, Kinder, Erfolg, ein gepolstertes Bankkonto, Haus, Besitz, Reisen ......... Wünsche, Bedürfnisse fokussieren unsere Energie. Gleichzeitig identifizieren wir uns mehr und mehr mit dem Körper und unserer Persönlichkeit. Das erhoffte Glück aber ist nicht eingetroffen: Diese Sehnsucht im Herzen nach mehr bleibt. Viele Leute resignieren an diesem Punkt, sind enttäuscht und deprimiert und flüchten sich in Ersatzbefriedigungen oder Krankheit. Aber alle äußeren Ziele müssen sowieso eines Tages zurückgelassen werden, alles ist vergänglich. Nur das „innere Haus“ macht uns zu reifen Menschen und nur unsere innere Wirklichkeit können wir mitnehmen. Sie ist eine Art Treppe zum Licht, zu dieser unglaublichen Erfahrung im Moment des Todes, wo wir aus der Enge des Körpers aussteigen und die Flügel ausbreiten in eine andere Dimension ähnlich dem Schmetterling, wenn er im Moment des Verlassens seines Kokons endgültig von der Raupe zum Schmetterling wird.In der zweiten Hälfte werden körperliche Kräfte, Wünsche und Bedürfnisse weniger, so wie auch die Zeit weniger wird. Zukunft ist nicht mehr so attraktiv. Wir könnten leichter im jetzt leben. Vieles ist ja bereits gelebt und viel Neugier ist befriedigt. Spätestens jetzt können wir umdrehen von der äußeren Suche nach innen. Mit dem körperlichen Abbau werden zudem die nach außen orientierten Sinne (Augen, Ohren) schwächer. Auch das befreit viel Energie, um nach innen zu hören und nach innen zu schauen.
Was ist Sehnsucht
dieses ewige Drängen nach etwas, nach mehr, nach Dazugehören, nach Einheit, Ganzheit, Heilsein, Hoffen, Glück, Liebe?
So wie Osho sagt „Der Mensch ist nicht fertig, wenn er ausgewachsen ist - er ist eine Möglichkeit. Er trägt ein Potential. Er kann es benützen oder verpassen. Die Pflanze, der Stein, das Tier ist bestimmt. Der Mensch ist frei, sein Potential für Wachstum zu benützen oder nicht“. Menschwerden heißt im eigentlichen Sinne Reifwerden. Jeder Mensch muss begreifen, dass die Bewegung von außen nach innen geht, von der äußeren Beziehung zur inneren Beziehung. Das Äußere muss gelebt werden, um zu verstehen, dass die Göttlichkeit in uns selbst ist, schon immer. Unser Inneres ist im Grunde ein Abbild des ganzen kosmischen Geschehens. Körper, Seele, Geist sind eine Ganzheit, rund und heil. Unser Sehnen in der äußeren Welt sind Projektionen, die gelebt werden wollen, weil wir uns getrennt fühlen. Jeder kreiert Leid, so lange er Verantwortung abgibt, Erwartungen und Bedürfnisse hat und auf die Zukunft hofft. Die Sehnsucht nach Einheit treibt uns aber immer weiter voran - die Sehnsucht nach Ergänzung, nach Teil eines Ganzen zu sein. Das beste Beispiel ist wohl die Liebesbeziehung von Mann und Frau, wo für einen Moment immer wieder tiefste Erfüllung passiert im sexuellen Orgasmus. In dieser Verschmelzung und in dieser Einheit besteht die Möglichkeit für ein neues Leben, ein Kind. Die Person verschmilzt in eine Ganzheit - leider nur kurz - die Einheit verschwindet wie eine Fata morgana. Man sinkt wieder zurück in die Zweiheit, zurück in Halbsein. Die Frau ohne Mann ist eine Halbheit wie auch der Mann ohne Frau. Doch die Sehnsucht ist erneut da. Die Suche, die Hoffnung geht weiter. Wenn nicht dieser Partner, dann ein anderer. Wir tragen die Sehnsucht, das Wissen, dass es die Ganzheit gibt, denn die Seele kommt aus der Ganzheit. Bei der Inkarnation in den Körper geht das Wissen um diese Ganzheit verloren, aber die Ahnung bleibt vorhanden. Wir fühlen unser Getrenntsein von der Ganzheit als Schmerz. Wir sind herausgefallen aus dem Paradies. Der gegengeschlechtliche Partner ist Stellvertreter für das Fehlende. Er hilft, alle unsere unbewussten schlafenden Bereiche wie Angst, Minderwertigkeit, Wut, Lust, Eifersucht, Schmerz, Bedürftigkeit, Freude, Liebe zu öffnen.........aber in der Reife verstehen wird, dass das Sehnen nicht zum äußeren Partner, sondern zu unserer Ganzheit geht. Ruhe, Friede, Stille entstehen, wenn unser „inneres Haus“ bewusst und heil geworden ist. Nie ist im Körperlichen die Einheit möglich, Dualität kann nicht auf dieser Ebene aufgelöst werden. Trotzdem ist der Körper unser Lehrmeister. Wir erleben ständig angewandten Unterricht. Sexualität ist unsere stärkste Kraft und beherbergt wie der Weg des Tantra sagt das Geheimnis der Vermählung der dualen Welt von Dunkel und Licht, von Geist und Materie, von oben und unten, von hell und dunkel.Reif und erwachsen werden bedeutet, den Weg nach innen anzutreten, sich im Körperlichen zu verwurzeln im Schatten- oder Erdenreich. Auch ein Baum, vor allem ein alter Baum hat seine Wurzeln tief in die Erde getrieben, um zum Licht zu wachsen. Doch die Einheit kann nur auf der geistigen Ebene, im Licht erreicht werden. Die Pole können geeinigt werden durch deren Anerkennung. Reif sein heißt Erkennen, dass restlos alles, wonach wir äußerlich streben in uns selbst bereits vorhanden ist. Einzig unsere Sicht getrübt. Wenn man heil ist im Innen ist man heil mit allem. Bedingungslose Liebe und Mitgefühlt schließt alles ein und bringt uns zurück in die Einheit, zu Wahrheit, Einssein, Frieden und Stille. Ich selber habe eine lange Reise in äußere Ziele hinter mir. Es kam mir vor wie eine lange Reise zum Abbau von Illusionen. Immer wieder ließ ich alles hinter mir, das eigene Heim, meine Liebesbeziehung, meine kleine Familie für die große Familie von Oshos Kommune, neue Beziehungen, neue Ziele.........das Leid wurde weniger - Verstehen mehr. Heute fühle ich mich äußerlich älter und innerlich jünger, entspannter. Meine 2 erwachsenen Töchter gehen wieder ihren Weg. Ich konnte es nicht wirklich weitergeben: Jeder muss wohl diesen Weg selber verstehen, ein Weg durch das Leid hin zu Bewusstheit und Meditation, zu Stille und Ganzsein, zu Frieden, Ruhe und Entspannung, zum Geheimnis des Lebens, des ewigen Kommen und Gehens.
Nur Bewusstheit und Liebe ist allumfassend.